Der große Regen in San Pedro de Atacama 01-2019
Das folgende Foto wurde auf der Titelseite der spanischen Fotocommunity gezeigt (https://www.fotocommunity.es) Vielen Dank!
Danach kam der Wunsch nach einem Reisebericht in spanischer Sprache (Sorry, es ist nur eine Übersetzung mit Google):
Reportaje de viaje –> La gran lluvia en San Pedro de Atacama 01-2019

Reisebericht aus der Stadt meiner Träume – San Pedro de Atacama!
San Pedro, mein ersehntes Ziel während einer mehrwöchigen Rundreise durch Südamerika! Welch Vorfreude auf das berühmte Tal des Mondes, auf Salzseen, Lagunas und ihre Flamingos, auf die heißen Quellen und Geysire von El Tatio! Seit Wochen träume ich von diesen Highlights und von den fantastischen Fotomotiven. Doch Träume können sich manchmal auch zum Albtraum entwickeln…
Wir sind vier Ehepaare, im besten Reisealter, haben unsere Reise mit mehreren Stationen minutiös durchgeplant. Etwa die Hälfte haben wir schon hinter uns gebracht, haben in Buenos Aires vom Café Tortoni über die Caminito bis zum Friedhof La Recoleta alles abgeklappert. Dann waren wir in Bariloche von den blitzblauen Seen fasziniert, haben in Mendoza ausgiebig Weinverkostungen zelebriert und zuletzt, nach einer Fahrt mit dem Fernbus über die Anden, Santiago de Chile besichtigt. Bald ist es so weit, die Atacamawüste wartet! Alle sind voll Vorfreude auf San Pedro und die Sehenswürdigkeiten in der Umgebung. Vier Tage haben wir eingeplant, ehe es wieder mit einem Fernbus nach Salta in Argentinien weitergehen soll.
Dienstag, 29. Jänner 2019: Wir landen in Calama, der Hauptstadt der Atacamawüste und übernehmen am Flughafen zwei Geländewagen. Rund 100 Kilometer sind es bis San Pedro. Kurz vor der Stadt halten wir am Aussichtspunkt Mirador an und blickten erstmals von oben ins berühmte Tal des Mondes. Dunkle Wolken und ein eiskalter Wind verheißen nichts Gutes. In der „Casa de Jose“ werden wir herzlich empfangen. Die Mietautos werden im Hof eingesperrt, uns fällt auf, dass auf offener Straße über Nacht praktisch keine Autos geparkt werden. Alles ist offenbar hinter Mauern verbarrikadiert. Die Zimmer sind winzig, es drängt uns so bald wie möglich zu einem Spaziergang ins Ortszentrum. Das Restaurant Adobe wird uns empfohlen, das Essen ist tatsächlich vorzüglich. Doch der Abend verläuft dann überraschend spektakulär: Während wir speisen, beginnt es zu schütten, der Regen prasselt auf das Dach, das Wasser dringt durch die Decke, läuft in Strömen über elektrische Lampen, in der Stadt fällt das Licht aus, der Stromgenerator springt an.

Siehe auch mein Ölgemälde Der große Regen beginnt
In einer Regenpause schaffen wir es trockenen Fußes in die Casa de José…
Mittwoch, 30. Jänner: Die ganze Nacht regnet es in Strömen. Vormittags klart es auf, wir besteigen frohen Mutes unsere Geländeautos. Nach wenigen Kilometern folgt jedoch die Ernüchterung: die Straßen sind überschwemmt und nicht befahrbar, die Laguna Chaxa mit den berühmten Flamingos ist unerreichbar. Da nützen unsere Geländeautos auch nichts. Sogar das nahe liegende Mondtal ist gesperrt. Frustriert beschließen wir, nach Calama zu fahren und die riesige Kupfermine Chuquicamata zu besichtigen. Wir haben uns informert: es ist ein sehenswertes, von Menschenhand gemachtes riesiges Loch, misst etwa 3×4 Kilometer und reicht 1.100 m in die Tiefe. Doch eineinhalb Stunden später müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass alle Führungen ausgebucht sind, da ist nichts zu machen. Wir sind also hin und zurück 200 km umsonst gefahren. Wenigstens haben wir im Supermarkt unser Abendessen eingekauft.
Am Rückweg sind wir positiv überrascht: Kurz vor San Pedro, beim Val de Marte – dem Marstal – prangt die Tafel „Open“. Wir parken, zahlen den obligaten Eintritt, wandern ein paarhundert Meter, bewundern die Felsformationen und lassen sogar die Drohne steigen.

Es ist erst 16 Uhr, wir wollen nochmals ins Mondtal, diesmal aber nicht über den „offiziellen“ Eingang, sondern irgendwie hinten herum. Die Piste wird immer holpriger und schlammiger, wir kehren lieber um. Über eine Schotterstraße möchten wir zurück in die Stadt. Schon sehen wir die ersten Häuser und parkende Autos, keine 100 Meter entfernt. Laut Plan sollte da eine flache Furt durch den Rio San Pedro sein, doch der ist zu einem reißenden Fluss angeschwollen, der eine gut zwei Meter hohe Böschung ausgespült hat. Es bleibt uns nur der Umweg über die Hauptstraße.

Der Rest des Tages ist San Pedro gewidmet, wir schlendern durch die Gassen, es regnet zwar momentan nicht, doch der Erdboden ist schon ziemlich aufgeweicht. Viele Straßen und Gassen sind ja nicht gepflastert. Wir besichtigen die Kirche und den Markt, kaufen in kleinen Boutiquen Wanderhosen und T-Shirts. Abends wagen wir in unserem kleinen Hotel einen Sprung ins Pool, dann essen wir Brot, Wurst und Obst aus unseren Einkäufen. Und schon wieder ziehen Gewitter auf.

In unserer Runde keimt die Sorge, dass unsere Ausflüge zu den Sehenswürdigkeiten im wahrsten Sinne des Wortes endgültig ins Wasser fallen könnten. Beunruhigend ist auch die Kunde, dass die Hauptverbindung nach Argentinien ebenfalls nicht befahrbar sei. Diese Strecke sollen wir ja am Freitag mit dem Fernbus zurücklegen. Wir hoffen, dass der Regen nachlässt, doch das Gegenteil ist der Fall. In der Nacht wird es langsam kalt und feucht in den winzigen Zimmern.
Donnerstag, 31. Jänner, der letzte ganze Tag in San Pedro. Die Hotelchefin ist immer wieder in Kontakt mit dem Busunternehmen, es bestehe angeblich die Chance, dass der Fernbus doch fahren könne. Für heute gibt sie uns noch den Tipp, zur Laguna Baltinache zu fahren, es sei die einzige Straße, die noch frei sei. Nach ein paar Kilometern auf der Ruta 23 blicken wir bei einem kurzen Zwischenstopp nochmals ins Tal des Mondes, bald danach zweigen wir von der Hauptstraße nach Süden in Richtung Laguna Baltinache ab. Wir rumpeln jetzt zu viert mit unserem Toyota auf einer aufgeweichten Schotterstraße gegen Süden und kommen wegen unzähliger halbmetertiefer Lacken nur langsam voran. Die anderen Vier haben es vorgezogen, im Auto bei der Abzweigung warten, da sie vermuten, dass wir ohnedies bald umkehren müssen. Ihnen erscheint die Fahrt zu riskant.

Leider haben sie recht. Nach einer halben Stunde müssen wir umdrehen, denn bis zur Laguna wären es noch gut 40 Kilometer. Das schaffen wir bei dem Tempo nie, zumal wir am späten Nachmittag unsere Fahrzeuge zurückgeben müssen. Völlig verdreckt kommen wir rechtzeitig in San Pedro an und sind fast überrascht, dass wir die Autos in diesem Zustand problemlos an der Rückgabestelle abgeben können. Zu Fuß geht es jetzt ins Stadtzentrum, dabei beschleicht uns immer mehr ein ungutes Gefühl. Ohne Auto fühlen wir uns irgendwie hilflos und ausgeliefert.
In der Stadt wird uns bewusst, dass nicht nur die Touristen unter den Wetterkapriolen leiden. Noch viel ärmer dran ist die Bevölkerung. Viele Häuser, die aus einheimischer Erde und Pflanzenfasern erbaut sind, beginnen sich durch die Wassermassen aufzulösen, vielerorts werden die Dächer eilig mit großen Plastikplanen abgedichtet.

José, der gute Hausmeister im Hotel, kocht uns zum Abschied ein vorzügliches Abendmahl, doch es kann die Angst nicht wettmachen, dass wir hier tagelang festsitzen könnten und es uns nachts ins Bett regnet. Fährt nun morgen der Bus? Einmal heißt es ja, dann wieder nein. Es kristallisiert sich nur eine Gewissheit heraus: Wir müssen morgen um 6 Uhr in der Früh zum Busbahnhof, sicher ist sicher. Die Nacht wird ungemütlich. Die Bettwäsche ist klamm und feucht, sogar die Wände haben sich mit Feuchtigkeit vollgesogen. Man hat das Gefühl, die mit Lehm verputzten Häuser lösen sich im Dauerregen auf. Im Zimmer ist es kalt, und dann wird es auch noch stockfinster. Blackout. In der ganzen Stadt ist der Strom ausgefallen…

Freitag, 1. Februar: Um 6 Uhr bringt uns ein Taxi zum Busbahnhof, im Finstern prasselt der Regen auf die Windschutzscheibe, die Straße ist in einen Bach verwandelt, Menschen waten durch braunes Wasser. In der Kälte warten wir in der kleinen Halle, sitzen auf den Koffern, drei lähmende Stunden lang. Die Frau im Schalter der Buslinie hat aber auch keine verlässlichen Informationen. Gegen Neun kommt dann die Gewissheit: Die Nationalstraße nach Argentinien ist nicht befahrbar, und das wird auch noch mehrere Tage so bleiben. Sie ist wahrscheinlich vielfach verschüttet oder stellenweise gar weggespült.
Ich verfolge den Streckenverlauf auf Google Maps mit eingeblendeten Höhenschichtlinien und wundere mich nicht darüber. In der Ebene von San Pedro, auf rund 2.500 Meter Seehöhe, muss ja noch alles relativ harmlos sein im Vergleich zur eigentlichen Andenquerung. Dorthin steigt die Straße nämlich bald steil an, führt über 4.800 m hohe Pässe, dann geht es 700 Kilometer (!) ostwärts, ständig in Seehöhen zwischen 3.500 und fast 5.000 Metern. Bei dem Wetter müssen dort unvorstellbare Zustände herrschen. Schließlich folgen dann noch in steilem Gefälle unzählige Kehren, entlang felsiger Schluchten geht es hinab in die Ebene von Salta. Im Nachhinein bin ich froh, dass das Busunternehmen kein Risiko eingegangen ist, selbst wenn die Strecke irgendwie befahrbar gewesen wäre. Von einer Mure in die Tiefe gerissen? In 4.500 m Seehöhe bei Minusgraden irgendwo steckengeblieben? Ein Horror.
An diesem Morgen ist uns das in keiner Weise bewusst, wir haben nur vor Augen, dass es in San Pedro alles andere als gemütlich ist. Wir denken ebenso wie Hunderte andere Touristen nur an Flucht. Einem Zufall und den Connections unserer Quartiergeberin ist es zu verdanken, dass wir in einem privaten Kleinbus nach Calama mitfahren dürfen. Der Bus ist gerade groß genug, dass wir zu acht auf den Rücksitzen hineinpassen. Ein riesiges Glück, wir sind praktisch die einzigen Touristen, die San Pedro verlassen können.

Uns wird auch klar: Um nach Salta zu kommen, wo ja unsere Hotelzimmer fix gebucht sind, müssen wir uns etwas einfallen lassen. Uns bleibt nur ein riesiger Umweg: per Flugzeug von Calama nach Santiago de Chile, dann weiter nach Buenos Aires und schließlich von dort nach Salta. Drei Flüge, eigentlich ein Wahnsinn.
Die praktischen Probleme werden uns erst am Flughafen von Calama bewusst. Da gibt es nämlich keinen Schalter, wo man Tickets kaufen könnte. Und wir sind auch nicht die einzigen, die flüchten wollen. Die Halle ist voll mit Menschen, die alle nach Santiago wollen. Internetzugang gib’s auf dem Flughafen auch nicht, wir können also online keinen Flug buchen und nicht einmal nach einem Hotel suchen. Eine Fremdenführerin, die unsere Verzweiflung bemerkt, schafft es, per Handy für uns Zimmer zu organisieren, zwei Taxis bringen uns hin. Das Hotel ist überraschend schön, es hat WLAN und wir können endlich alle Flüge buchen. Allerdings erst für den übernächsten Tag. Es steht uns also ein voller Tag in Calama bevor, in einer Stadt, über die im Internet zu lesen ist, sie sei die hässlichste und unheimlichste Stadt in der ganzen Umgebung. Und dann gibt es da auch noch die Empfehlung: Bleiben Sie hier nur so kurz wie möglich… Ja, eh.
Samstag, 2. Februar: Der Zwangsaufenthalt in Calama wäre eine gute Gelegenheit, die bloß 15 Kilometer entfernte Kupfermine doch noch zu besuchen. Doch wir sind wirklich vom Pech verfolgt – am Samstag gibt es keine Führungen. Wir bummeln durch eine Shoppingmall, die direkt neben dem Hotel liegt, dann rumpelt ein Güterzug vorbei, mit gut einem Dutzend Tankwaggons voll Schwefelsäure. Die wird wohl in der Kupferhütte gebraucht. Wir fassen schließlich den Mut, die Stadt zu erkunden. Die Hotelrezeption schärft und ein, wir sollen zusammenbleiben, sicherheitshalber. In der Gasse, die zum Hauptplatz führt, warnt uns die Besitzerin eines Ladens, wir mögen hier lieber nicht gehen, es gebe zu viele Banditos. Ich lasse meine Kamera im Hosensack verschwinden, es ist zum Glück nur die kleine Sony RX100. Einige von uns werden jetzt richtig nervös und wollen sofort umdrehen. Letztlich beschließen wir, uns doch nicht einschüchtern zu lassen und erreichen ein paar Minuten später unbehelligt den Hauptplatz. Er ist nett und gepflegt, die Kirche ist durchaus sehenswert, eine Frau küsst die Füße einer Jesusfigur. Alles sieht völlig ruhig und normal aus. Am Rückweg zum Hotel entdecken wir in der Fußgängerzone allerdings die Reste einer Blutlache. Von einem Mord letzte Nacht?

Sonntag, 3. Februar: Wir treten den gigantischen Umweg nach Salta an. Statt einer eintägigen Busfahrt müssen wir 4.200 Flugkilometer zurücklegen. Beim Start vom Flughafen Calama fliegen wir leider nicht über die Kupfermine Chuquicamata. Nichteinmal aus der Luft ist uns der Anblick des zweitgrößten Tagebaues der Welt vergönnt. Eine halbe Stunde später blicke ich während des Flugs über die Atacamawüste zufällig aus dem Flugzeugfenster steil nach unten und erkenne ein anders monströses Loch. Ich zücke die Sonykamera, gehe auf Tele und fotografiere schräg nach unten. Bei einer späteren Recherche finde ich dank Google Maps heraus, es ist offenbar die Minera Centinela, ebenfalls eine riesige Kupfermine. Aus Frust, dass mir Chuquicamata dreimal durch die Lappen gegangen ist, spiele ich mich daheim mit Photoshop, um das Foto aus dem Flugzeug so eindrucksvoll wie möglich zu machen…

Nach stundenlangem Warten in Santiago hebt gegen Abend das Flugzeug nach Buenos Aires endlich ab. Wir überqueren die Anden, sehen bizarre Berggipfel und einen verwirrenden Sonnenuntergang. Das Wolkenmeer unter uns entschwindet bereits in die Nacht, in der Ferne offenbart sich aber eine goldglänzende Fläche, offenbar von den letzten Strahlen der untergegangenen Sonne von unten zum Leuchten gebracht. Wie ein See aus glühendem Gold.

Erst spätabends landen wir in Buenos Aires, zur Übernachtung haben wir in einem Flughafenhotel gebucht. Jetzt, fast am Ende unserer Odyssee, geraten wir beinahe in Lebensgefahr: Wir erleben eine nächtliche, rasende Horrorfahrt mit einem älteren, fehlsichtigen Taxifahrer, der den Weg zum Hotel nicht findet und bei vollem Tempo auf der Autobahn einen Tobsuchtsanfall bekommt. Während der Fahrt nestelt er tief hinabgebeugt unter dem Lenkrad an seinem Handy. Ich sitze neben ihm, der Anblick seines Kopfes und der dicken Brille hat sich mir bis heute eingeprägt. Er akzeptiert auch nicht unsere Hilfe per Handynavigation und will uns sogar zum Flughafen zurückbringen. Mit psychologischem Geschick beruhigen wir den Kerl, ich dirigiere ihn mit großen Handzeichen. Statt wenigen Minuten Fahrt zum Hotel benötigen wir eine glatte Stunde und sind froh, dass wir diese Höllenfahrt lebend überstehen.
Am nächsten Tag, nach dem dritten Flug, erreichen wir endlich Salta und holen mit großer Erleichterung unsere Mietautos. Es folgen Gott sei Dank noch etliche wunderbare Tage in Cafayate, Salta, Iguazú und Rio de Janeiro.
******************
So, das ist also mein kleiner Reisebericht passend zu den Fotos in diesem Artikel. Geschildert habe ich das alles schon etliche Male. Wer kann schon von einem Dauerregen in der trockensten Wüste der Welt berichten? Egal, wem ich das alles erzählt habe: Jeder hat gemeint, ich möge mir doch nichts draus machen, ich hätte wenigstens etwas erlebt, was sonst niemand erleben kann. Diese Anmerkung kommt immer. Und sie tröstet mich nicht.
Das T-Shirt, das ich in San Pedro gekauft habe, ziehe ich übrigens mit gemischten Gefühlen an. Welch Ironie des Schicksals: auf der Brustseite sind die Straßenverbindungen zu all jenen Sehenswürdigkeiten aufgedruckt, die wir nicht gesehen haben…
Irgendwann fahre ich sicher wieder nach San Pedro.